Einblicke ins Praktikantenleben
Simone Zingel, Vorstandsreferentin Caritas Bocholt durfte Birte Wellkamp in ihrer Einsatzstelle besuchen und hat ihr ein paar Fragen zu ihrem Praktikum gestellt.
Birte Wellkamp hat in ihrem Praktikum gemerkt, dass Büroarbeit nicht so schlimm ist, wie sie gedacht hat.©CaritasBocholt
Erzähl mal kurz was über dich: Was studierst du genau?
Ich bin 24 Jahre alt und wohne während meines Praktikums wieder zu Hause in Borken. Ich studiere soziale Arbeit an der KatHo NRW in Münster im 6. Semester.
Ich habe mein Praxissemester von September 2019 bis Januar 2020 hier gemacht und seitdem bin ich mit 9 Wochenstunden als studentische Hilfskraft angestellt. Davor hab ich noch ein Praktikum in der Mutter-Kind-Einrichtung, auch hier beim Caritasverband, gemacht.
Vorher hab ich eine Ausbildung als Erzieherin in einem Kindergarten gemacht. Ich fand den Blickwinkelwechsel spannend: nicht mehr nur mit den Kindern, sondern jetzt auch mit den Eltern arbeiten.
Welche Aufgabe macht dir am meisten Spaß?
Das kann ich ganz klar sagen: die offenen Angebote. Wir haben hier ja zum einen den offenen Nachmittagstreff und vormittags das Frauencafé. Man weiß nie, was kommt. Mal kommt nur 1 Person und man muss gucken, wie man das hinkriegt und dann stehen 7 Leute vor der Tür und die Bude ist voll und man muss gucken, wie das koordiniert wird. Und weil die Konstellation der Leute ja auch immer anders ist, ist wirklich kein Tag wie der andere. Außerdem finde ich es schön, dass ich hier weiter mit Kindern arbeiten kann. Denn das habe ich in meiner Ausbildung ja schließlich gelernt und das mache ich gerne. Hier arbeite ich aber nicht nur mit den Kindern, sondern auch mit den Eltern. Die sind zwar auch Teil der Arbeit in der Kita, aber hier ist das schon ganz anders verzahnt.
Womit hättest du vorher nicht gerechnet?
Dass ich sofort schon so aktiv in Beratung eingebunden werde. Ich dachte, das gäbe es im Praxissemester noch gar nicht, aber nach 2 Monaten ca. habe ich das auch schon gemacht.
Im Beratungsgespräch weiß man ja auch vorher nie, womit die Leute kommen und trotzdem muss man dann gucken, wie man helfen kann. Da ist Gesprächsführung ganz wichtig.
Da hab ich dann gemerkt, wie gut das ist, dass im Studium auch Gesprächsführung auf dem Lehrplan steht. An sich sind die Rollenspiele in den Seminaren ja nie so beliebt, aber eigentlich ist das total wichtig, das zu üben. Und selbst das bereitet nicht auf die echte Situation vor. Für mich war es so ein Gewinn, dass es hier zwei erfahrene Kolleginnen gibt, die auch noch Fortbildung in systemischer Beratung haben. Da konnte ich ganz viel abgucken und das dann direkt selbst testen. Die beiden arbeiten ja unterschiedlich. Da konnte ich dann immer gucken, was auch für mich gut passt und einfach mal ein paar Fragestellungen, Antworten oder Kniffe abgucken. Wäre es nur bei der Hospitation geblieben, hätte ich zwar Ideen mitgenommen, aber dadurch, dass ich das auch selbst ausprobieren konnte, hab ich viel mehr gelernt. Denn Beratung ist ja mehr als einfach nur reden. Da steckt schon viel Arbeit und Kompetenz hinter. Da bin ich hier im Praktikum echt ein großes Stück weiter gekommen in dem, was ich kann.
Überrascht hat mich noch, dass Büroarbeit besser ist als erwartet. Das hatte ich vorher für mich eher ausgeschlossen. Jetzt hab ich aber gemerkt, dass auch die Aufgaben mit Emails, Telefon und Dokumentation Spaß machen.
Ich hätte auch nicht damit gerechnet, dass ich so schnell so gut in Kontakt mit den Leuten komme. Ich wurde super gut aufgenommen von den Klient*innen. Da war schnell viel Offenheit. Gerade in den offenen Angeboten war das einfach in Kontakt zu kommen, die haben das auch dankbar angenommen, dass mit ihr als Praktikantin noch eine weitere Gesprächsperson zur Verfügung steht. Und mit Kinder kann ich ja eh gut. Das wusste ich ja. Aber hier hatte ich noch mal andere Altersgruppen da. Da war ich schon froh zu sehen, dass es mir auch mit denen gelingt, einen guten Draht zu bekommen.
Und wie vielfältig die Arbeit ist, hab ich mir anfangs gar nicht vorstellen können. Ich kannte die Kontakt- und Anlaufstelle ja nicht und hab dann nur auf der Homepage ein bisschen was darüber gelesen. Das hörte sich spannend an, aber jetzt hab ich das ja alles hautnah erlebt und bin total überzeugt von dieser Mischung. Hier soll ja ein ganz niedrigschwelliger Zugang zu Hilfsangeboten ermöglicht werden. Die Leute sollen sich hier wohl fühlen und wenn sie das tun, finden sie hier auch jemanden, der bei der Lösung ihrer Probleme hilft. Viele Fragen klären wir hier direkt. In den Beratungen werden Partnerschafts- oder Erziehungsfragen genauso bearbeitet wie Probleme bei Finanzen oder mit Behörden. Manche tun sich auch im Alltag schwer, Haushalt, Kinder und Job unter einen Hut zu bekommen. Auch das ist manchmal Thema. Über die Beratungsarbeit hab ich dann auch ganz viel über die Netzwerke gelernt: Wer hilft bei welchem Problem weiter? Wohin können wir weitervermitteln? Und die offenen Angebote dienen ja zum einen dazu, einen Zugang zu schaffen, sind ja aber auch Freizeitangebot für die Frauen. Hier finden sie einen Ort, an dem sie eine schöne Zeit verbringen können. In den Treffs gibt es ja auch immer besondere Angebote. Mal wird was gebastelt oder gewerkelt, mal gibt es eine Infoeinheit oder halt das, was die Frauen selbst miterarbeitet haben Hier entstehen auch Freundschaften, zumindest aber gibt es Austausch mit Menschen in einer ähnlichen Situation. Und es kostet nicht viel. Das ist für viele Familien ja auch wichtig. Immer ins Café gehen mit einer Freundin ist schon was Anderes, als sich hier mit den Kindern treffen zu können. Für die Kinder gibt es ja auch eigene Angebote: Hausaufgabenhilfe, Freizeitangebote und gemeinsame Ferienaktionen für die ganze Familie.
Was fällt dir schwer?
Oh je, das ist jetzt so total Klischee, aber, wenn ich ehrlich bin: Abrechnungen und Budgetierung. Das wird nicht meine Lieblingsaufgabe. Natürlich weiß ich, warum das wichtig ist und dass es gemacht werden muss. Aber das mach ich nicht gerne. Da nutze ich die Zeit lieber, um gemeinsam ein neues Angebot zu entwickeln oder ein Plakat zu gestalten, also irgendwas Kreatives zu machen.
Birte Wellkamp mit Einrichtungsleitung Maria Sandscheper. Auf dem Sofa hat sie so manch gutes Gespräch mit ihren Kolleginnen geführt, aber auch ihre erste Beratungsgespräche.©CaritasBocholt
Wo ist dein Herzblut reingeflossen? Was war dein Projekt:
Ich habe ein Wellnessangebot für Frauen im Rahmen eines offenen Angebots. Wir haben während eines offenen Treffs eine Handmassage gemacht. Ich hab erklärt, wie das geht und dann hat jeder das bei sich selbst ausprobiert. Das war schon spannend zu sehen, wie die Frauen das aufgenommen haben. Und wie sie tatsächlich gemerkt haben, dass es entspannt, dass es gut tut, sich mal für ein paar Minuten ganz auf sich zu konzentrieren. Ziel war ja, dass sie lernen, wie sie sich selbst was Gutes tun können, ohne viel Zeit oder Geld zu investieren. Handmassage hört sich erstmal so banal an. Aber genau darum geht es ja: es soll ja gar nicht pompös sein, sondern alltagstauglich. Ich habe auch eine Traumreise für Kinder angeboten. Die hat den Kindern geholfen, neue Entspannungswege zu finden, sich mal ganz ruhig zu beschäftigen. Traumreise macht man ja sonst als Kind nicht ständig. Da braucht man ja schon Anleitung. Der nette Nebeneffekt war, dass es für die Eltern mal 20 Minuten kinderfreie Zeit gab. Eigentlich war das für Erwachsene geplant, aber an dem Tag fanden sich im offenen Treff nicht genug, die Lust hatten, dann hab ich kurzfristig umdisponiert und das Angebot dann auf die Kinder zugeschnitten.
Mein Herz geht auf in der Hausaufgabenhilfe: man begleitet die Kinder, unterstützt hier ganz viel und wenn sich dann die Schulnoten besser werden oder die Kinder entspannter sind, das macht richtig stolz und froh. Es ist schön zu sehen, dass die Arbeit Früchte trägt. Ich genieße das auch, einfach mit den Kindern mitzufühlen und deren Freude zu teilen. Zu sehen, dass die merken, dass sie etwas können, was sie sich nicht zugetraut hätten, ist toll. Hier gibt es Förderung, die zu Hause so nicht möglich ist. Und das mit einfachen Mitteln. Das ist schon schön, Teil von so etwas Wichtigem zu sein.
Hast du in deinem Praktikum noch andere Bereiche kennenlernen können?
Ich konnte im Praxissemester zwei sehr gegensätzliche Bereiche kennen lernen. Zwischen vollstationär und intensivpädagogisch und niedrigschwellig und offen. Für Birthe ist das Arbeiten im offenen Rahmen schöner. Hier ist die Freiwilligkeit immer da. Die haben Lust hier zu sein. Die kommen, weil sie das gerne machen wollen. Also ist die Grundstimmung schon eine ganz andere. Da ist Beziehungsarbeit viel einfacher. In der Mutter-Kind-Einrichtung hängt der Zwangscharakter über allem. Da ist die Beziehungsgestaltung viel schwieriger. Ich war da total überrascht, wie anspruchsvoll der Job ist, den die Erzieherinnen da machen. Die gibt es da neben den Soziapädagoginnen ja auch und das Arbeiten war schon ganz anders als das, was ich aus der Kita kannte. Dass die da so souverän arbeiten und ganz auf Augenhöhe mit den anderen Berufsgruppen, hat mich beindruckt. Aber die Härte der Schicksale hat mich auch mitgenommen. Da die nötige Distanz zu finden und trotzdem mit Freude bei der Sache zu sein, finde ich für mich gerade schwierig.
Im offenen Setting ist die Beziehung zu den Klient*innen auch anders. Die entscheiden ja selbst, was sie von sich preisgeben wollen. Stationär gibt es zum einen viel größere Probleme, da gibt es aber immer auch viel mehr Infos, die die Klientinnen vielleicht nicht freiwillig preisgeben. Allein schon, weil man ja wohngruppenähnlich zusammenlebt und wirklich den Alltag miteinander teilt, bekommt man vielmehr voneinander mit. Für so ein Setting wie die Mutter-Kind-Einrichtung ist das ja auch wichtig. Aber ich hab für mich gemerkt, dass ich besser in einem offenen Rahmen arbeiten kann. Klar, man bekommt immer nur eine Seite der Geschichte zu hören und kann das, was die Klient*innen erzählen immer nur mit den Beobachtungen abgleichen, die man selbst im Rahmen der Angebote macht. Das ist schon ein anderer Zugang.
Wie bewertest du dein Praktikum im Vergleich zu dem, was du von Kommiliton*innen hörst?
Im Austausch mit den Kommilitonen fiel schon auf, dass sie es hier gut getroffen hat. Teilnahme an Teamsitzungen, Bezahlung, nicht nur Hospitation sondern auch aktive Mitarbeit auch in Beratungen. Sie hatte hier keinen Praktikantenstempel, sondern wird respektiert. Hier hat alles gestimmt: Hat sich nicht wie Schülerpraktikatnin gefühlt, aber auch nicht wie gleichwertige Arbeitskraft. Schon so wie eine angehende Fachkraft in Anleitung. Hier war sie die junge Kollegin. Das war sehr treffend. Durfte hier immer sagen, wenn sie was noch nicht kann oder nicht verstanden hat. Gut zu wissen, dass immer wer da war. Durfte mich ausprobieren, wo ich mich sicher fühlte und hatte Rückendeckung, da wo ich unsicher war.
Aufgefallen ist mir dann im Gespräch mit meinen Kommiliton*innen auch, dass ich hier echt akzeptiert bin. Ich hatte keinen "Praktikantin-Stempel", sondern war für alle immer "die junge Kollegin". Darin drückt sich eine andere Wertschätzung aus. Für den Umgang mit den Klientinnen hat das einen Unterschied gemacht, weil die gemerkt haben, dass ich hier Teil des Teams bin und im Kontakt mit Netzwerkpartnern und auch den Kolleginnen war so immer klar, dass ich dazu gehöre. Mit meiner Rolle hier fühle ich mich total wohl, das ist sehr stimmig: Ich bin nicht nur zum Gucken hier, ich kann aber auch noch nicht alles.
Was hat dir das Praktikum gebracht?
Auf jeden Fall. Das Praxissemester hat mich ein großes Stück weiter gebracht in der Vorbereitung auf den Beruf. Und über die Hilfskrafttätigkeit bleibe ich weiter am Balll. Denn eigentlich ist so ein Praxissemester sehr schnell rum. Für die Einarbeitung gehen ja schon einige Wochen drauf und erst dann fängt ja das richtige Arbeiten an. So gibt es auch langfristig Einblicke und vor allem kann ich so weiter üben, was ich hier an konkreter Methodik lerne.
Das Praktikum hat mir auf jeden Fall mehr Orientierung bei der Berufswahl gegeben. Ich weiß zwar nicht genau, was ich machen will, aber ich kann schon mal einiges ausschließen. Schichtdienst ist nix für mich. Ich habe schon lieber geregelte Arbeitszeiten. Auch die Arbeit mit Wohngruppencharakter fällt mir schwer. Ich wusste vorher schon, dass ich gegenüber schwierigen Jugendlichen nicht so durchsetzungsfähig bin. So stark konflikthafte Arbeit würde ich lieber erst mit einiger Berufserfahrung und mehr Altersunterschied machen. In der Mutter-Kind-Einrichtung habe ich ja auch heftige Schicksale erlebt. Das hat mich schon mitgenommen. Das bräuchte ich im Moment noch nicht jeden Tag. Grundsätzlich wäre auch ASD was, aber auch das erst mit Berufserfahrung. Ich habe gemerkt, dass mir die offene Arbeit viel Spaß macht und auch die Beratung in diesem Kontext. Da gibt es ja noch viele Optionen, die mir offen stehen von Schulsozialarbeit, Jugendarbeit oder die Arbeit in Beratungs- oder Begegnungsstätten. Jetzt konzentrier ich mich erstmal auf meine Bachelorarbeit. Danach setz ich mich mit konkreter Stellensuche auseinander.
Wie bist du an die Praktikumsstelle gekommen?
Eigentlich hatte ich mich für die Mutter-Kind-Einrichtung beworben. Die Verbundleitung hat mir dann aber die Stelle in der Kontakt- und Anlaufstelle vorgestellt und gefragt, ob ich mir das auch vorstellen kann. So kam es, dass ich mein Praktikum dann auf zwei Stellen geteilt habe. Ausschlaggebend war am Anfang auch, dass der Fahrweg kürzer ist. Aber letztlich hat dann auch der Inhalt voll überzeugt. Ich hatte die Kontakt- und Anlaufstelle halt vorher überhaupt nicht auf dem Schirm, ich wusste gar nicht, dass es so was gibt. Das geht wahrscheinlich vielen kleinen Einrichtungen so. Ist schon ländlich hier, das muss man mögen. Aber dann hat es super viele Vorteile. Ich finde es gut, dass es hier überschaubar ist. Und weil ich hier in der Gegend aufgebwachsen bin, ist mir vieles bekannt. Wäre ich in eine Großstadt gegangen, wären die Lebenswelten ja ganz andere. Da hätte ich neben dem, was eh alles schon neu war in der Arbeit ja auch noch ganz viele andere Herausforderungen und neue Rahmenbedingungen gehabt. Auch so gab es ja schon total viel Neues, was ich vorher nicht erwartet hätte.
Für mich ist das super hier. Ich wollte gerne in meiner Heimatregion was machen. Wir als Münsterländer wissen ja, wie das ist mit den vielen kleineren Städten in einem Kreis. Da finde ich Rhede echt gut. Dass wir hier nicht alles mit dem Bus erreichen können, kennen wir ja. Für unsere Verhältnisse ist das doch super angebunden hier. Es gibt die Buslinie sogar nach Münster, wenn ich also wirklich mal von der Arbeit zur FH fahren wollte, ginge das auch. Und zu Hause bin ich in einer Viertelstunde.