Der Name ist zugleich Symbol: Ankerhaus heißt das Gebäude, in dem früher die Gaststätte Spoler Krug war. Inzwischen leben im früheren Gasthaus junge Leute, die zu Hause Probleme haben. "Die Jugendlichen kommen aus akuten Krisen", sagt Anne Bücker. Sie ist Gruppenleiterin im Ankerhaus, das der Erziehungshilfeverbund Gerburgis seit fast zwei Jahren in Vardingholt betreibt.In der Clearinggruppe", wie sie offiziell heißt, sollen die Kinder und Jugendlichen Halt finden und ein Zuhause auf Zeit. Zeit, um ihre Situation zu klären und zu schauen, wie es in ihrem Leben weitergehen kann.
So wie Anna (Name geändert). Die 15-Jährige kam zu Hause nicht mehr klar, nachdem ihr Vater neu geheiratet hatte. Ständig gab es Streit mit der Stiefmutter. Anna lief mehrmals davon, schwänzte die Schule, probierte Drogen aus. Die Situation eskalierte, als der Vater mit seiner neuen Frau ein Kind bekam. Die Eltern suchten Hilfe beim Jugendamt, das Anna aus der Familie holte und zunächst ins Ankerhaus brachte. "Das war schon eine hochdramatische Situation", erinnert sich Jürgen Borgert, Bereichsleiter der stationären Hilfen für Kinder und Jugendliche beim Erziehungshilfeverbund Gerburgis. Dort werden die Kinder rund um die Uhr von Anne Bücker und ihren Kollegen betreut. Wichtig sei es, Vertrauen aufzubauen, die Jugendlichen erst mal ankommen zu lassen und dann gemeinsam nach Perspektiven zu suchen. Anna blieb ein paar Monate in Vardingholt. "Manche bleiben ein bis zwei Nächte, andere mehrere Monate", sagt Maria Forsthövel, Leiterin des Erziehungshilfeverbundes. Es gebe eine hohe Fluktuation. Das unterscheide die Ankergruppe beispielsweise von Wohngruppen. "Eine normale Heimgruppe ist nicht auf regelmäßigen Wechsel eingestellt", erläutert Andrea Scherbring, Leiterin der Nebenstelle Rhede des Fachbereichs Jugend und Familie des Kreises. Der Kreis sei gesetzlich verpflichtet, Kinder und Jugendliche in Obhut zu nehmen, wenn das Kindeswohl gefährdet ist - oder die jungen Leute darum bitten, erläutert Scherbring. Um die Kinder in solchen akuten Fällen unterbringen zu können, sei zusammen mit dem Erziehungshilfeverbund die Clearinggruppe Ankerhaus gegründet worden. "Damit wir einen Platz haben, von dem aus wir weiterschauen können." Clearinggruppen hätten sich in der Erziehungshilfe als erfolgreiches Konzept erwiesen, sagt Maria Forsthövel.
Die Gründe, warum die Kinder (zeitweise) nicht mehr in ihren Familien bleiben können, sind vielfältig. Das können Erziehungsprobleme sein, Drogenabhängigkeit der Eltern, Vernachlässigung oder Gewalt, zählt Anne Bücker auf. Da die jungen Leute "aus hochbelasteten Situationen" kämen, bräuchten sie intensive Begleitung, sagt Borgert. Die Mitarbeiter müssten "unheimlich präsent sein". Man erreiche diese jungen Menschen nicht über Macht und Autorität, sondern über Beziehungsarbeit. Auch Gespräche mit den Eltern gehören dazu. Manchmal gelingt es, Kinder und Eltern einander wieder näherzubringen. Manchmal ziehen die Kinder nach einer Pause wieder zu Hauses ein. Annas Weg führte vom Ankerhaus in eine Wohngruppe. Inzwischen lebt sie in einer eigenen Wohnung.
Die Clearinggruppe Ankerhaus gehört zum Erziehungshilfeverbund Gerburgis, der ambulante und stationäre Jugendhilfe anbietet. Träger der Einrichtung ist der Caritasverband für das Dekanat Bocholt. Das Rheder Angebot wurde laut Caritasverband gemeinsam mit dem Kreis Borken sowie den Städten Bocholt und Borken entwickelt. Das Haus bietet Platz für sieben Jungen und Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren. Vergangenes Jahr wohnten 52 junge Menschen für einige Tage, Wochen oder Monate im Ankerhaus. Die meisten kamen über den Fachbereich Jugend und Familie des Kreises Borken sowie über die Städte Bocholt und Borken.