Als die Kontakt- und Anlaufstelle in Rhede im April 2020 die Sprechstunde für Schülerinnen und Schüler im Homeschooling auf die Beine stellte, ging es vorrangig um technische Fragen. "Da war die größte Sorge, wie Kinder überhaupt an Arbeitsmaterial kommen, wie sie Aufgaben erledigen können, wenn sie keine eigenen Computer oder Drucker haben", erinnert sich Einrichtungsleitung Maria Twents.
Nach über einem Jahr Pandemie sehen sie und ihre Kolleginnen jetzt die mittelfristigen Folgen. "Für die Kinder war das letzte Jahr echt kräftezehrend. Wahnsinn, was die alles geleistet haben", sagt Maria Twents. Da werde schon viel verlangt, was den Einsatz unterschiedlicher Anwendungen am PC, Selbstorganisation und Konzentration anbelange. Die Kinder haben in kürzester Zeit unglaubliches geleistet. Denn es sei ja nicht so, als ob das für die Kinder der Klassen 1-6 davor Alltag gewesen wäre, betont Twents. "Als hätten die Kinder vorher alle schon ständig per Videokonferenz an Themen gearbeitet und darauf gehofft, sich den Stoff selbst einteilen zu können. Gerade für die jüngeren Kinder trifft das häufig nicht zu. Die mussten sich da ganz schön was erarbeiten, was vielfach an dem vorbeigeht, wie sie eigentlich gut lernen können", sagt Maria Twents mit Blick auf die Unterrichtsgestaltung in der Pandemie. Genauso zeigten sich die Eltern überfordert mit der neuen Rolle als "Hilfslehrerinnen und -lehrer", ganz abgesehen davon, häufig gleichzeitig der beruflichen Rolle gerecht werden zu müssen. Sprachbarrieren verstärkten die Überforderung. Eltern kamen mit einem Stapel Schulbriefen, die sie nicht lesen konnten. Da war Aufklärung gefragt.
Und gerade die Kinder aus den unteren Klassen sind es, die das Angebot der Hausaufgabenbetreuung in der Kontakt- und Anlaufstelle nutzen bzw. schon immer gut genutzt haben. "Anfangs waren Grundschüler ja noch vorrangig für den Präsenzunterricht im Blick. Das war für die Kinder ganz wichtig, weil so die Beziehung zu Freunden und auch den Lehrkräften gefördert wurde und sie den Bezug zur Schule behielten. Aber seitfür alle Jahrgänge Wechselunterricht oder sogar kompletter Distanzunterricht angesagt ist, beobachtet Maria Twents eine steigende Belastung und Frustration der Kinder.
"Die Kinder brauchen uns gerade gar nicht so sehr bei den Hausaufgaben. Diese werden zunehmend nebensächlich. Wir müssen hier erstmal auffangen, was sie an Ballast mit sich rumschleppen: das reicht von den Sorgen darüber, dass die Eltern gerade keine Arbeit haben oder sich ständig streiten bis hin zu Zukunftsängsten, massiven Einsamkeitsgefühlen, Hoffnungslosigkeit. Viele Kinder geraten zu Hause unter die Räder. Wenn Eltern arbeiten müssen, wird den Kindern auf einmal viel Selbstständigkeit abverlangt: vom Pausenbrot über das Mittagessen bis hin zur Aufsicht für die kleinen Geschwister - der Alltag von Kindern ist gerade in vielen Familien heftig.", schildert Maria Twents die Lage. Aber auch "wohlbehüteten" Kindern gehe allmählich "die Puste aus".
Sorge bereiten ihr und ihren Kolleginnen nicht nur die Kinder, die aktuell die Hausaufgabenhilfe besuchen Sorge. Vielmehr sorgt sie sich um all die Kinder, die gerade durch alle Netze fallen. "Was ist mit den Kindern, die den Kontakt zur Schule verloren haben? Wer holt die ab?", fragt sich das Team. Manche Schulen berichteten von 15% der Schülerschaft, die aktuell nicht erreicht würden. Einige davon halten zumindest über die Sprechstunden Kontakt zum Team der Beratungsstelle. "Gerade, weil wir hier nicht darauf pochen, dass Aufgaben erledigt werden und ein Pensum erfüllt wird, sondern einfach zuhören und das Angebot machen, hier Zeit zu verbringen, reichen wir einen Strohhalm, den diese Kinder oder Familien dann leichter greifen können", sagt Maria Twents. Entscheidend ist aus ihrer Sicht, sich im Sozialraum noch enger zu vernetzen um Kinder und Jugendliche nicht aus dem Blick zu verlieren.
Weil alle Gruppenangebote zurzeit pausieren müssen, bleiben nur Einzeltermine. Die seien so stark nachgefragt, dass das Team im Moment deutlich mehr Zeit investiert. Und auch für die aufsuchende Arbeit stellt Maria Twents Ressourcen ab. "Wenn wir uns bei den Familien melden, die sonst unsere Angebote wahrnehmen und einfach mal fragen, wie es so läuft, wird häufig deutlich, wie sehr den Menschen ein offenes Ohr/ Hilfe fehlt.", sagt Twents. Dabei habe sie anfangs eher gescheut, so offensiv auf die Leute zuzugehen. Aber mittlerweile ist deutlich geworden, dass es wichtig ist, aktiv den Kontakt zu suchen. Denn die Verunsicherung sei auch bei den Familien sehr groß: Wo dürfe man überhaupt noch hin? Wer ist überhaupt erreichbar? Sind meine Sorgen der Rede wert? Wie geht es weiter?
Erschöpfung und Sorge erleben Maria Twents und ihr Team gerade bei vielen. Umso motivierter gehen sie ihre Aufgaben an und machen so viele Gesprächsangebote wie möglich. "Darauf bin ich sehr stolz", so die Einrichtungsleitung, in Anbetracht dessen, dass alle Mitarbeiterinnen privat ja auch genauso den Herausforderungen der Pandemie ausgesetzt sind.