Aus Kindern werden Leute. Das sahen die Pädagog*innen am vergangenen Wochenende wieder eindrücklich, als sie ihren ehemaligen Schützlingen gegenübersaßen. Die stationären Hilfen für Kinder und Jugendliche des Erziehungshilfeverbundes Gerburgis hatten zum Ehemaligen-Treffen geladen. 10 Männer und Frauen kamen, die in den letzten 10 Jahren Zeit in einer der insgesamt 5 Wohngruppen verbracht haben.
Stolz erzählten die Ehemaligen aus ihrem Leben. "Wir durften so viele Erfolgsgeschichten hören", freut sich Christina Hell, Mitarbeiterin in der Verselbständigungsgruppe "Sprungbrett". Alle, die gekommen waren konnten von Arbeit, Ausbildung oder Schule erzählen. Manche brachten auch schon eigenen Kinder mit.
Für die 7 Mitarbeiter*innen aus den insgesamt 5 Wohngruppen war die Wiedersehensfreude ebenso groß wie für die sogenannten "careleaver". Manche von ihnen haben die stationäre Jugendhilfe schon vor 10 Jahren verlassen, andere erst vor 2 Jahren. An ihre Zeit in den Wohngruppen erinnern sie sich alle gern. "Ohne euch wäre mein Leben ganz anders verlaufen", sagt Marco an diesem Abend. Den Satz hören die Pädagog*innen oft, wenn sie mit Ehemaligen sprechen. Für die Kinder und Jugendlichen sind sie in den Monaten und Jahren ihres Aufenthalts wichtige Bezugspersonen. Dass die angebotenen Hilfestellungen wirken, freut die Pädagog*innen daher sehr. "Es ist total toll zusehen, dass aus den größten Chaoten, die uns echt gefordert haben, so gestandene Persönlichkeiten geworden sind, die richtig was auf die Beine gestellt haben", freut sich Hell.
Auch wenn das Zusammenleben in der stationären Jugendhilfe familienähnlich ist, mit der Volljährigkeit zeigt sich dann, dass eben nicht wie bei einer Familie zugeht: Wenn der Anspruch auf Hilfe endet, ist gesetzlich nicht vorgesehen, dass die pädagogische Beziehung gepflegt wird. Kontaktabbrüche sind also vorprogrammiert. Denn man trifft sich ja nicht automatisch einmal im Jahr zu den Feiertagen, wie das bei Familien häufig der Fall ist. Viele ziehen weg, schlagen neue Wurzeln, manche bleiben in der Nähe. Weil die Kontaktpflege aber auch für die Mitarbeiter*innen wichtig ist, tun sie viel dafür, sie doch irgendwie einzubauen, auch wenn die offizielle Hilfe beendet ist.
Weil sie genau wissen, wie groß die Hürden sind, die die jungen Erwachsenen bewältigen müssen, wenn sie die Hilfe verlassen und auf eigenen Füßen stehen müssen, bereiten die Pädagog*innen sie bewusst auf ein eigenständiges Leben vor. "Für Careleaver gibt es nach Ende der Maßnahme kein Netz, keinen doppelten Boden. Da ist keiner, der erklärt, wie die Waschmaschine funktioniert und bei dem man sich sonntags zum Essen einquartieren kann. Da kann keiner mal eben zu Hause anrufen, wenn der Bus nicht mehr fährt", berichtet Teamleiter Tim Kosmeyer. Während in intakten Familien die Eltern weit bis in die 20er ihrer Kinder aktiv unterstützen, vom Drängen auf Versicherungen bis hin zu technischer Hilfe und praktischen Tipps, sind diejenigen aus der stationären Jugendhilfe kommen, gezwungen, früh für sich zu sorgen. Und genau in dieser Hinsicht wünschen sich auch die jetzt Erwachsenen Ehemaligen mehr Unterstützung. So ein Treffen wie dieses kommt gut an. Wiedersehen, in Kontakt bleiben, Anlaufstellen haben - das sind die Wünsche, die die Ehemaligen an diesem Abend formulieren mit Hinblick auf das, was ihnen als "careleaver" gutgetan hätte/guttun würde.
Neben vielen netten Gesprächen und lustigen Anekdoten von früher haben die Pädagog*innen das Wiedersehen mit ihren ehemaligen Schützlingen aber auch dazu genutzt, sich deren "know how" einzuholen. Denn von den Erfahrungen der Ehemaligen können die jetzigen und zukünftigen Kinder und Jugendlichen profitieren. Mit etwas zeitlichem Abstand zeigt sich, was gut geholfen hat, was gefehlt hat. Diese Erfahrungswerte wollen die Teams auf jeden Fall in ihre Arbeit einfließen lassen.
Und ein Wiedersehen wird es sicher auch geben - nicht erst in 10 Jahren.