Bocholt, 07.05.2014, im Gemeinschaftswohnzimmer ist es voll. Die Mütter und Mitarbeiterinnen des Gerburgisheimes haben sich versammelt, um ihre Themen für die Kommunalwahl zu sammeln. Auch wenn im Vorfeld bei vielen Frauen wenig Interesse an Lokalpolitik bestand, hat sich im Verlauf der Diskussion dann doch gezeigt, in welchen konkreten Lebensbereichen ihre Wahlentscheidung Einfluss auf ihren Alltag nehmen kann. So wurden verschiedene Problembereiche des Lebens diskutiert. Mitarbeiterinnen unterstützten die Diskussion, indem sie auf Einflussmöglichkeiten der Politik hinwiesen und Standpunkte der Parteien gegenüberstellten. Hilfreich waren da vor allem die Unterlagen der Parteien in leichter Sprache. Denn die regulären Parteiprogramme überforderten auch Frauen ohne Behinderung - die wesentlichen Aspekte auf den Punkt brachten da eher die Broschüren in leichter Sprache.
Auch die Caritas hat Materialien für die Vorbereitung auf die Wahl erstellt und ihre Positionen deutlich gemacht. Für den Ortsverband Bocholt galt es nun, Theorie und Praxis miteinander abzugleichen. Was bewegt die Frauen, die Angebote der Caritas in Anspruch nehmen? Wo sind Berührungspunkte mit Politik und wer vertritt ihre Interessen?
Für die Frauen, die im Haupthaus und den Appartements der Außenwohngruppe leben, ist vor allem die Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr zentrales Thema. Ohne eigenes Auto sind sie auf Busse angewiesen. Da diese abends und am Sonntag aber nicht fahren, ist ihr Aktionsradius gerade am Wochenende stark eingeschränkt. Ausflüge zum Aa-See oder in den Stadtwald sind kaum möglich. Generell beklagen sie auch den Mangel an Freizeitangeboten für Kleinkinder. Neben dem Bahia und Spielplätzen gebe es wenige Möglichkeiten, Freizeit mit Kleinkindern außerhalb des Hauses zu verbringen. Da das Jupidu nun schließt fällt auch für ältere Kinder eine wichtige Freizeitanlage weg. Eine ähnliche Anlage wünschen sie sich nämlich auch für die Allerkleinsten, um bei schlechtem Wetter Freizeitmöglichkeiten zu haben.
Besonders problematisch erleben die Mütter die Wohnraumsituation in Bocholt. Es mangelt massiv an bezahlbarem Wohnraum. Für die Frauen bedeutet dies häufig, dass sich der mögliche Auszug in die Selbstständigkeit schlicht durch den Mangel an geeigneten Wohnungen verzögert. Sie fragten kritisch, warum es bei so vielen Baustellen und aus dem Boden sprießenden Wohnhäusern in Bocholt keine Wohnungen für sie gebe.
Besonders alleinerziehende Mütter sehn sich erschwerten Bedingungen bei der Wohnungssuche gegenüber: Ihnen fehlt es nicht nur an Wohnraum sondern auch an Unterstützungsangeboten, einen Umzug zu bewältigen. Hier wünschen sie sich mehr Hilfsangebote vom Möbeltransport bis hin zum Möbelaufbau. Denn da hilft auch das Karo-Kaufhaus nicht weiter.
Für die Frauen, die sich in Ausbildung oder Beschäftigung befinden, kommen Probleme bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hinzu. Es mangelt an Konzepten für die Teilzeitausbildung und Beschäftigung in Schule und Betrieb. Gerade wenn Wege zur Schule oder Arbeitsstätte mit dem Rad oder dem Bus zurückgelegt werden müssen, sind Arbeitszeiten von 8-16/9-17 Uhr nicht mit der Kinderbetreuung vereinbar. Wenn die alleinerziehenden Mütter dann wegen Krankheit der Kinder auch noch häufiger ausfallen als kinderlose KollegInnen oder solche, die sich die Betreuung mit einem Partner teilen können, oder durch das Kind deutlich weniger Zeit da ist, den Lernstoff zu wiederholen und zu üben, fühlen sich die Frauen häufig allein gelassen.
Positiv äußerten sich die Frauen über die Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen.
Mit dieser Form der Auseinandersetzung mit Lokalpolitik gelang dank der intensiven Vorbereitung der Mitarbeiterinnen eine Beteiligung der Frauen. Während in der Mutter-Kind-Einrichtung abends diskutiert wird, fanden ähnliche Gespräche auch in anderen Einrichtungen beim gemeinsamen Kaffeetrinken oder Frühstück statt. Öffentliche Podiumsdiskussionen, Parteiveranstaltungen oder Infostände erreichen diese Zielgruppe sonst nicht. In ihrem vertrauten Umfeld, mit ihren Bezugspersonen fand aber eine intensive und konstruktive Auseinandersetzung statt.
Gerade bei den Aspekten "bezahlbarer Wohnraum", "Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Alleinerziehende" und Berücksichtigung der Belange sozial benachteiligter Menschen finden die Frauen Unterstützung durch die Caritas. Wenngleich der deutschlandweite Verband mit lauter Stimme spricht, liegt es an der Bereitschaft der Politiker vor Ort, die Botschaft zu hören und umzusetzen. Denn zum Wahlkampf gehört auch, die anzuhören, die man leicht überhört, die nicht den Weg in die erste Reihe finden und keine große Lobby haben. Die konkrete Gestaltung der politischen Arbeit wird zeigen, in wie weit der Mensch im Mittelpunkt steht.